Beschreibung
1. Bildung als Disposition
Bildung wird hier als eine persönliche Disposition verstanden, also als ein individuelles Potenzial (Begabung/ Entfaltung) oder eine innere Haltung, die durch Bildung entwickelt wird. Es geht darum, dass Menschen durch Bildung in die Lage versetzt werden, bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen zu erwerben, die sie nutzen können, um in unterschiedlichen Situationen adäquat zu handeln. Bildung als Disposition betont die langfristige Vorbereitung auf Herausforderungen des Lebens.
Beispiel: Ein Kind, das durch den Schulunterricht gelernt hat, kritisch zu denken und Probleme zu analysieren, verfügt über die Disposition, dieses Wissen auch später in unbekannten Kontexten anzuwenden.
2. Bildung als Transaktion
Kerres versteht Bildung auch als Transaktion zwischen Menschen und ihrer Umwelt. Bildung ist nicht nur ein individueller Prozess, sondern entsteht in Interaktion mit anderen Menschen, mit der Gesellschaft und der Umwelt (Qualifikation/ Ausbildung). Dabei spielen soziale und kulturelle Faktoren eine zentrale Rolle, denn der Lernende steht in einem ständigen Austausch mit seiner Umgebung, was zu einer wechselseitigen Beeinflussung führt.
Beispiel: In der Schule arbeiten Schülerinnen und Schüler gemeinsam an einem Projekt. Sie bringen eigene Ideen ein, diskutieren sie und verfeinern sie durch Rückmeldungen von Mitschülern und Lehrern. Diese Transaktionen führen dazu, dass alle Beteiligten etwas Neues lernen und sich weiterentwickeln.
3. Bildung als Transformation
Bildung als Transformation meint den Prozess der persönlichen Veränderung und Weiterentwicklung (Persönlichkeitsentwicklung/ gesellschaftliche Veränderung) durch Bildung. Diese Perspektive betont, dass Bildung nicht nur das Erlernen von Wissen und Fertigkeiten ist, sondern zu einer tiefgreifenden Veränderung des eigenen Denkens und Handelns führen kann. Bildung transformiert die Persönlichkeit und das Weltbild der Lernenden und ermöglicht ihnen, sich immer wieder an neue Herausforderungen anzupassen und sich weiterzuentwickeln.
Beispiel: Ein Schüler, der durch Unterricht und Diskussionen in der Schule seine Meinung über soziale Gerechtigkeit ändert und sich danach aktiv für soziale Projekte einsetzt, durchläuft einen Bildungsprozess als Transformation.
4. Medienbildung
Im digitalen Zeitalter ist für Kerres Medienbildung von besonderer Bedeutung. Hierbei geht es darum, wie Menschen durch den Einsatz von digitalen Medien lernen und sich bilden können. Medienbildung umfasst sowohl den kompetenten Umgang mit Medien als Werkzeugen als auch das kritische Hinterfragen und Verstehen der medialen Inhalte und ihrer Einflüsse auf die Gesellschaft.
Beispiel: Schülerinnen und Schüler lernen im Unterricht, wie sie digitale Quellen recherchieren und bewerten. Sie setzen sich auch damit auseinander, wie Medien Meinungen beeinflussen und welche Verantwortung sie als Mediennutzer haben.
Zusammengefasst:
Michael Kerres sieht Bildung als vielschichtigen Prozess. Als Disposition verleiht Bildung den Menschen langfristige Fähigkeiten, um in verschiedenen Lebenssituationen zu bestehen. Als Transaktion erfolgt Bildung durch soziale Interaktionen und Austauschprozesse. Transformation beschreibt die tiefgreifende, persönliche Veränderung, die durch Bildung angestoßen wird. Schließlich ist Medienbildung im digitalen Zeitalter unverzichtbar, da sie den kompetenten und kritischen Umgang mit Medien in den Mittelpunkt stellt.
Diese vier Perspektiven verdeutlichen, dass Bildung mehr ist als Wissensvermittlung – sie ist ein dynamischer Prozess, der sich über individuelle, soziale und mediale Ebenen erstreckt.
Michael Kerres, ein bedeutender Vertreter der Mediendidaktik, definiert Bildung in einem umfassenden Sinn und stellt sie in den Kontext der modernen Wissensgesellschaft. Er betont, dass Bildung heute nicht mehr nur auf die Aneignung von Wissen in traditionellen Lernkontexten wie Schulen oder Universitäten beschränkt ist, sondern sich zunehmend auf das Lernen in digitalen und informellen Kontexten erstreckt. Kerres unterscheidet zwischen verschiedenen Formen des Wissens und Lernens, die alle zur Bildung beitragen.
Einige zentrale Aspekte von Kerres’ Bildungsverständnis:
1. Lebenslanges Lernen
Bildung ist nach Kerres ein lebenslanger Prozess, der sich nicht auf die Schulzeit oder eine berufliche Ausbildung beschränkt. In einer sich schnell verändernden Welt ist kontinuierliches Lernen notwendig, um sich neuen Herausforderungen anzupassen und Wissen immer wieder zu aktualisieren.
Beispiel: Erwachsene nutzen Online-Kurse und Webinare, um sich beruflich weiterzubilden oder neue Fähigkeiten zu erlernen, auch lange nach dem formalen Bildungsweg.
2. Medienkompetenz
Ein zentrales Element von Bildung im digitalen Zeitalter ist für Kerres die Medienkompetenz. In einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft ist der kompetente Umgang mit digitalen Medien und Technologien unverzichtbar. Bildung bedeutet hier, sowohl technische Fähigkeiten zu entwickeln als auch kritisch mit digitalen Informationen und Medien umzugehen.
Beispiel: Schülerinnen und Schüler lernen in der Schule nicht nur, wie man das Internet nutzt, sondern auch, wie man die Glaubwürdigkeit von Informationen bewertet und Datenschutz respektiert.
3. Informelles Lernen
Neben formalen Bildungskontexten wie Schulen und Universitäten spielen für Kerres auch informelle Lernprozesse eine wichtige Rolle. Bildung findet oft außerhalb von formellen Strukturen statt, etwa durch das Nutzen von Online-Plattformen, sozialen Medien oder bei alltäglichen Interaktionen.
Beispiel: Ein Schüler erlernt neue mathematische Tricks durch Tutorials auf YouTube oder diskutiert gesellschaftliche Themen in Foren, was ebenfalls zu seiner Bildung beiträgt.
4. Kollaboratives Lernen
Kerres betont die Bedeutung von Lernen in Gruppen und Netzwerken. In der heutigen Welt ist das Zusammenarbeiten und Lernen in Teams ein wichtiger Bestandteil von Bildung. Digitale Plattformen ermöglichen es, Wissen gemeinsam zu erarbeiten und sich gegenseitig zu unterstützen.
Beispiel: Schülerinnen und Schüler arbeiten in Online-Gruppenprojekten zusammen und teilen ihre Ergebnisse über digitale Werkzeuge, was das gemeinschaftliche Lernen fördert.
5. Bildung im digitalen Zeitalter
Für Kerres muss sich Bildung an die Herausforderungen des digitalen Wandels anpassen. Dies bedeutet nicht nur den Einsatz von Technologie im Unterricht, sondern auch die Entwicklung einer kritischen Auseinandersetzung mit den Folgen der Digitalisierung. Bildung sollte Menschen befähigen, souverän in einer zunehmend digitalisierten Welt zu agieren.
Beispiel: In Schulen wird Coding als Fach eingeführt, um Schülern nicht nur das Verstehen von Technik zu ermöglichen, sondern ihnen auch Werkzeuge zur aktiven Gestaltung der digitalen Welt zu geben.
Fazit:
Michael Kerres sieht Bildung als einen lebenslangen, umfassenden Prozess, der sowohl formale als auch informelle Lernprozesse umfasst. Digitale Medien und Technologien spielen eine zentrale Rolle in der heutigen Bildung, und Medienkompetenz ist eine Schlüsselqualifikation. Bildung im Sinne von Kerres bedeutet, Menschen dazu zu befähigen, in einer digitalisierten Gesellschaft selbstbestimmt und verantwortungsbewusst zu agieren.
Quellen:
- Kerres, Michael (2018). “Medienbildung und Mediendidaktik: Bildungstheoretische Perspektiven auf digitale Medien.”
In diesem Werk setzt sich Kerres mit den Herausforderungen und Potenzialen digitaler Medien in Bildungskontexten auseinander und beschreibt u.a. die Bedeutung von Medienbildung als Schlüsselkompetenz. - Kerres, Michael (2001). “Multimediale und telemediale Lernumgebungen: Konzeption und Entwicklung.”
Dieses Buch beschreibt detailliert die Rolle von Medien in Lernprozessen und bietet eine fundierte Analyse, wie Lernumgebungen durch digitale Medien gestaltet werden können, um Bildungsprozesse anzustoßen. - Kerres, Michael (2013). “Medienbildung: Herausforderungen in der digitalen Gesellschaft.”
In diesem Artikel behandelt Kerres die Rolle von Bildung im Kontext der digitalen Gesellschaft und geht auf das Konzept der Medienbildung als eine zentrale Herausforderung für das Bildungssystem ein. - Kerres, Michael & de Witt, Claudia (2003). “E-Learning: Didaktische Grundlagen einer technologiegestützten Lernform.”
Dieses Buch bietet einen umfassenden Einblick in die didaktischen Prinzipien des E-Learning und beleuchtet dabei, wie Bildung als Disposition und Transformation durch digitale Lernumgebungen gefördert werden kann. - Kerres, Michael (2007). “Bildungstechnologien und Bildungsinstitutionen: Zwischen Disposition und Transformation.”
In diesem Beitrag wird Bildung als ein dynamischer Prozess zwischen der individuellen Entwicklung von Fähigkeiten (Disposition) und der sozialen Einbettung von Lernprozessen (Transaktion) beleuchtet.