Beschreibung
Hintergrund und Prinzipien des Churer Modells
Das Churer Modell geht davon aus, dass Lernmotivation und langfristiger Lernerfolg nicht durch rein methodische Tricks oder starre Programme erreicht werden können. Vielmehr betont es die Bedeutung von Beziehungen zwischen Lehrperson und Schüler/in sowie die Passung der Lerninhalte an die individuellen Voraussetzungen der Lernenden. Das Ziel ist also, Lernsituationen zu schaffen, die auf den individuellen Lernstand der Kinder eingehen und ihnen passende Lernangebote machen.
Binnendifferenzierung – Was bedeutet das?
Binnendifferenzierung ist eine Methode, bei der alle Kinder am gleichen Thema arbeiten, jedoch auf unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen. Es wird darauf geachtet, dass die Lernangebote in einer Klasse so gestaltet werden, dass sowohl schwächere als auch stärkere Schüler/innen passende Aufgaben und Herausforderungen bekommen. Dadurch müssen nicht für jedes Kind eigene Lernprogramme erstellt werden, sondern die Lehrperson bietet eine integrative Lernumgebung, die möglichst viele verschiedene Lernniveaus abdeckt.
Im Gegensatz dazu steht die äußere Differenzierung, bei der Kinder aufgrund von Kriterien wie Alter oder Leistungsstand in verschiedene Gruppen eingeteilt werden, z. B. in unterschiedliche Leistungszüge oder Sonderklassen.
Die wichtigsten Elemente des Churer Modells
- Verändertes Klassenzimmer als Lernlandschaft:
Das Churer Modell verändert die übliche Struktur eines Klassenzimmers. Es wird nicht mehr davon ausgegangen, dass alle Kinder an einem festen Platz sitzen und frontal unterrichtet werden. Stattdessen wird das Schulzimmer zu einer Lernlandschaft mit unterschiedlichen Arbeitsplätzen umgestaltet. Die traditionelle Wandtafel, die in klassischen Klassenzimmern der zentrale Punkt ist, verliert an Bedeutung. Die Schülerinnen und Schüler können sich oft aussuchen, wo sie arbeiten möchten. Diese flexible Raumnutzung fördert nicht nur das selbstständige Lernen, sondern bietet auch der Lehrperson mehr Möglichkeiten, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen. - Gemeinschaft und Individualisierung:
Der Unterricht im Churer Modell besteht aus verschiedenen Elementen:- Gemeinschaftliche Aktivitäten: Hierzu gehören Rituale, gemeinsames Singen oder sich im Kreis austauschen. Diese Aktivitäten fördern den sozialen Zusammenhalt und bieten einen Ausgleich zur Individualisierung.
- Kurzinputs: Inputs oder Erklärungen der Lehrperson werden bewusst kurz gehalten (in der Regel 10-15 Minuten). Das Ziel ist, den Kindern möglichst viel Lernzeit zu geben und gleichzeitig genug Raum für individuelle Beratung und Unterstützung zu lassen.
- Individuelle Lernangebote: Die Lernumgebung bietet verschiedene Lernangebote, die thematisch zu den Inputs passen und auf unterschiedlichen Schwierigkeitsniveaus liegen. Diese Angebote stehen allen Schülerinnen und Schülern zur Verfügung, damit keine Diskriminierung stattfindet. Die Kinder lernen, welche Angebote für sie am besten geeignet sind. Sollten sie dabei Schwierigkeiten haben, steht die Lehrperson beratend zur Seite.
- Freiarbeit und Projekte: Neben den geführten Unterrichtsphasen gibt es auch Zeiten, in denen die Kinder an eigenen Projekten oder Aufgaben arbeiten, was ihre Selbstständigkeit und Eigenverantwortung fördert.
- Rolle der Lehrperson:
Im Churer Modell verändert sich die Rolle der Lehrperson. Sie ist nicht mehr nur die zentrale Wissensvermittlerin, die im Frontalunterricht steht, sondern wird zu einer Lernbegleiterin. Die Lehrperson gibt den Schülerinnen und Schülern nach und nach mehr Verantwortung für ihr eigenes Lernen. Sie unterstützt, berät und führt regelmäßig Reflexionsgespräche mit den Kindern über ihren Lernprozess. Dabei bleibt die Lehrperson in einer aktiven Rolle, indem sie das Lernen der Gruppe und des Einzelnen steuert, Eingriffe vornimmt und Erwartungen formuliert. Dies erfolgt jedoch in einer Weise, die das eigenständige Arbeiten der Kinder unterstützt. - Unterstützung durch Sonderpädagogik:
Eine Schulische Heilpädagogin (SHP) unterstützt die Arbeit der Lehrperson im Klassenzimmer. Im Gegensatz zu früheren Modellen, in denen Kinder mit besonderen Bedürfnissen oft aus der Klasse genommen wurden, findet die Unterstützung im Churer Modell größtenteils innerhalb der Klasse statt. Das fördert die Integration und ermöglicht es allen Schülerinnen und Schülern, gemeinsam zu lernen. - Individuelle Lernkontrollen und Reflexion:
Jedes Kind hat am Ende einer Lerneinheit eine Lernkontrolle, bei der der individuelle Lernerfolg gemessen wird. Die Bewertung erfolgt auf Grundlage der persönlichen Lernziele. In Gesprächen mit der Lehrperson wird der Fortschritt reflektiert und gewürdigt. Wichtig dabei ist, dass nicht nur das Resultat, sondern auch der Einsatz und die Lernanstrengung der Kinder anerkannt werden. - Anpassung an die Lernvoraussetzungen:
Im Churer Modell wird davon ausgegangen, dass Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Lernvoraussetzungen, Vorwissen und Lernstrategien mitbringen. Diese individuellen Unterschiede werden nicht als Hindernis, sondern als Ausgangspunkt für das Lernen betrachtet. Die „Normalität“ in der Klasse wird somit breiter gefasst. Unterschiedliche Lernwege und -geschwindigkeiten sind im Modell nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. So wird das Lernpotenzial jedes Kindes individuell gefördert.
Beispiel einer Umsetzung: Übergang vom Kindergarten in die Schule
Ein konkretes Beispiel, wie das Churer Modell in der Praxis funktioniert, ist der Übergang von der Kindergartenstruktur zur Grundschule. Im Kindergarten arbeiten Kinder bereits oft in altersgemischten Gruppen und mit individueller Förderung. Diese Form der Binnendifferenzierung wird in der Grundschule fortgeführt. Beim Übergang in die erste Klasse stehen Kinder jedoch häufig vor neuen Herausforderungen, da die traditionelle Organisation der Schule (zum Beispiel Frontalunterricht) nicht an ihre bisherige Lernumgebung anschließt. Hier greift das Churer Modell ein und passt die Lernumgebung so an, dass die Schülerinnen und Schüler weiterhin in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Niveaus arbeiten können, ohne dass sie durch ein zu starres System über- oder unterfordert werden.
Fazit
Das Churer Modell stellt eine moderne Form der Unterrichtsgestaltung dar, die auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder eingeht, ohne die Struktur einer Klassengemeinschaft aufzugeben. Durch Binnendifferenzierung und eine flexible Lernumgebung können alle Kinder gefördert werden, unabhängig von ihrem Lernstand oder ihren Fähigkeiten. Die Lehrperson nimmt dabei die Rolle einer Begleiterin und Beraterin ein, die das selbstständige Lernen der Kinder unterstützt und gleichzeitig den Überblick über die Klasse behält. Dieses Modell ermöglicht es, dass jedes Kind sein eigenes Potenzial entfalten kann, ohne dabei isoliert zu werden.
Quelle:
IQES (2024). Churer Modell: Binnendifferenzierung.