Beschreibung
Kernideen des Symbolischen Interaktionismus
- Bedeutung durch soziale Interaktion:
Mead betont, dass Menschen den Dingen in ihrer Umwelt eine Bedeutung geben, und zwar durch die Interaktionen, die sie miteinander haben. Bedeutungen entstehen also nicht von alleine, sondern werden in sozialen Prozessen ausgehandelt. Diese Bedeutungen sind Grundlage für das menschliche Handeln.- Beispiel: Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, einigen sie sich auf die Bedeutung von Wörtern, Gesten oder Handlungen. Die Bedeutung von “Respekt” oder “Zuneigung” entsteht durch den sozialen Austausch und kann von Kultur zu Kultur oder sogar von Gruppe zu Gruppe variieren.
- Rollenübernahme („role-taking“) und Perspektivenübernahme:
Menschen entwickeln ihre Identität und ihr Selbst, indem sie die Perspektive anderer einnehmen. Dies nennt Mead role-taking. Wenn wir uns vorstellen, wie andere Menschen uns sehen oder was sie von uns erwarten, entwickeln wir ein Bewusstsein für uns selbst.- Beispiel: Ein Kind, das spielt, „spielt“ oft bestimmte soziale Rollen (z.B. Vater, Mutter, Lehrer). Indem es die Rolle übernimmt, versteht es die Erwartungen und Perspektiven der anderen Person und lernt so, wie es sich in der realen Welt verhalten kann.
- Das Selbst („I“ und „Me“) und die Entwicklung von Identität:
Mead sieht die Identität als ein Produkt sozialer Interaktionen. Dabei beschreibt er das Selbst als ein Zusammenspiel aus zwei Komponenten:- Das „I“: Der spontane, impulsive Teil des Selbst, der auf unmittelbare Reize reagiert. Es ist die kreative, unvorhersehbare Seite der Persönlichkeit.
- Das „Me“: Der reflektierte Teil des Selbst, der sich der gesellschaftlichen Normen und Erwartungen bewusst ist. Es ist der Teil, der kontrolliert, wie wir in den Augen anderer erscheinen.
- Beispiel: Wenn jemand plötzlich auf eine Beleidigung reagiert und etwas Unüberlegtes sagt, spricht das „I“. Wenn er dann darüber nachdenkt und reflektiert, wie diese Reaktion bei anderen ankommt, ist es das „Me“, das aktiv wird.
- Signifikante Symbole und die Bedeutung der Sprache:
Sprache spielt eine zentrale Rolle im Symbolischen Interaktionismus. Mead betont, dass Menschen durch signifikante Symbole, wie z.B. Sprache und Gesten, miteinander kommunizieren. Diese Symbole haben eine gemeinsame Bedeutung und ermöglichen es, aufeinander abgestimmte Handlungen auszuführen.- Beispiel: Wenn jemand die Hand hebt, um zu grüßen, wird das als Zeichen des Grußes verstanden, weil beide Parteien die Bedeutung der Geste teilen. Ohne diese geteilte Bedeutung könnten Menschen nicht miteinander interagieren.
- Das „generalized other“ (der „verallgemeinerte Andere“) und Sozialisation:
Ein weiterer zentraler Begriff bei Mead ist der generalized other. Damit beschreibt er die Fähigkeit, die Perspektive der Gesellschaft als Ganzes oder einer größeren Gruppe zu übernehmen, statt nur die Perspektive einzelner Personen. Das ermöglicht es Menschen, gesellschaftliche Normen und Erwartungen zu verstehen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen.- Beispiel: Ein Kind, das im Spiel zunächst nur die Rollen von Mutter oder Vater imitiert, lernt im Laufe der Zeit, wie die Gesellschaft insgesamt (z.B. Lehrer, Polizei, Nachbarn) auf bestimmtes Verhalten reagiert. Es kann sich dann an allgemeinen Normen orientieren.
Entwicklungsprozess des Selbst nach Mead
Mead beschreibt, wie Kinder durch soziale Interaktionen ihre Identität entwickeln. Dieser Prozess verläuft in mehreren Phasen:
- Die Play-Phase:
In dieser frühen Phase des Lebens (Kindheit) imitieren Kinder die Rollen anderer Personen, ohne diese Rollen vollständig zu verstehen. Sie tun so, als ob sie jemand anderes wären (z.B. Eltern, Lehrer), um deren Verhalten zu verstehen. - Die Game-Phase:
In dieser Phase (etwas später) verstehen Kinder, dass es in einer Gruppe mehrere Rollen gibt, die aufeinander abgestimmt sind. Sie lernen, sich in eine Gruppe einzufügen und die Perspektiven verschiedener Gruppenmitglieder zu berücksichtigen. Sie übernehmen die Perspektive des „generalized other“.- Beispiel: Ein Kind, das in einem Team spielt, lernt, nicht nur an seine eigene Position zu denken, sondern auch daran, wie das Team als Ganzes funktioniert und welche Erwartungen die anderen Teammitglieder haben.
Zusammenfassung
Der Symbolische Interaktionismus nach Mead besagt, dass Menschen ihre Identität und ihr Selbstkonzept durch Interaktionen mit anderen entwickeln. Die Übernahme von Rollen, die Bedeutung von Sprache und Symbolen sowie die Reflexion gesellschaftlicher Normen sind entscheidend für die Bildung des Selbst. Mead betont, dass Identität kein festes Konstrukt ist, sondern in einem dynamischen Prozess der Interaktion ständig neu gebildet wird.
Quellen:
- Mead, George Herbert (1934): Mind, Self, and Society. Chicago: University of Chicago Press.
- Blumer, Herbert (1969): Symbolic Interactionism: Perspective and Method. Berkeley: University of California Press.
- Mead, George Herbert (1936): The Philosophy of the Act. Chicago: University of Chicago Press.
- Goffman, Erving (1959): The Presentation of Self in Everyday Life. New York: Doubleday Anchor Books.
- Reynolds, Larry T. & Herman-Kinney, Nancy J. (2003): Handbook of Symbolic Interactionism. Walnut Creek: AltaMira Press.